Urteile zur Umsiedlung von Feldhamstern

Rechtssache C 383/09
Europäische Kommission
gegen
Französische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Habitat Richtlinie – Unzulänglichkeit der zum Schutz der Art Cricetus cricetus (Feldhamster) getroffenen Maßnahmen – Verschlechterung der natürlichen Lebensräume“

Leitsätze des Urteils

Umwelt – Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen – Richtlinie 92/43 – Strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a genannten Tierarten
(Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 12 Abs. 1 Buchst. d, und Anhang IV Buchst. a)

Nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2006/105 geänderten Fassung haben die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um ein strenges Schutzsystem für die in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten Tierarten in deren natürlichen Verbreitungsgebieten einzuführen, das jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten verbietet.

Die Umsetzung dieser Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten nicht nur die Schaffung eines vollständigen gesetzlichen Rahmens auf, sondern auch die Durchführung konkreter und besonderer Schutzmaßnahmen. Desgleichen setzt das strenge Schutzsystem den Erlass kohärenter und koordinierter vorbeugender Maßnahmen voraus. Ein solches strenges Schutzsystem muss also im Stande sein, tatsächlich die Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der in diesem Anhang IV Buchst. a genannten Tierarten zu verhindern.

Somit hat die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/43 verstoßen, dass sie kein Programm von Maßnahmen aufgestellt hat, die einen strengen Schutz der Art Feldhamster (Cricetus cricetus) erlauben. (vgl. Randnrn. 18-21, 37, 40 und Tenor)

Als „Hüterin der Verträge“ ist es Aufgabe der Europäischen Kommission, die Umsetzung von EU-Recht in den EU-Staaten zu überwachen. Sie kann rechtliche Schritte in Form von Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Länder einleiten, die das EU-Recht nicht oder nicht vollständig umsetzen.

 

Naturschutzrechtliche Ausnahme zur Umsiedlung von Feldhamstern

Urteil v. 03.01.2017 OVG Sachsen-Anhalt 2 M118/16

Zitate aus dem Urteil:

36 2.2.2. Im Übrigen hat der Senat auch Zweifel daran, ob der Nachweis dafür erbracht ist, dass sich bei Durchführung der geplanten Umsiedlung der Feldhamster der Erhaltungszustand der Feldhamster-Populationen nicht verschlechtert.

41 b) Die Feldhamster-Populationen befinden sich bundesweit betrachtet in einem ungünstigen Erhaltungszustand, da das natürliche Verbreitungsgebiet abnimmt. Nach dem vom Deutschen Rat für Landschaftspflege herausgegebenen Bericht zum Status des Feldhamsters aus dem Jahr 2014 (S. 8) weisen die Feldhamster-Bestände in fast allen Bundesländern einen negativen Trend auf. In Sachsen-Anhalt beträgt der Bestand > 50.000 Individuen und hat den Rote-Liste-status „vom Aussterben bedroht“, die Bestandentwicklung ist allerdings stabil (vgl. S. 37). Hier besitzt die Art aktuell nur noch vier abgrenzbare Verbreitungszentren, darunter das südliche Harzvorland (vgl. das Maßnahmenkonzept des Büros für Landschaftsökologie (M.) vom 01.09.2016, S. 5, Bl. 95 des Verwaltungsvorgangs). Das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU) geht in seiner Stellungnahme zum streitigen Vorhaben vom 18.11.2016 (Anlage BG 10) dort von einem Erhaltungszustand „C“ (mittel bis schlecht) bzw. „U1“ (unzureichend) und damit von einem ungünstigen Erhaltungszustand aus.

42 c) Derzeit dürfte es an einem hinreichenden Nachweis dafür fehlen, dass im Fall der Durchführung des Bauvorhabens der im südlichen Harzvorland ungünstige Erhaltungszustand der Feldhamster-Population sich nicht weiter verschlechtern und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindert wird.

44 bb) Ob mit der Umsiedlung der Erhalt der lokalen Population auf die in den Maßnahmenkonzepten vom 01.09.2016 und 19.10.2016 vorgesehenen Umsiedlungsflächen gewährleistet ist, erscheint nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen fraglich.

52 cc) Nicht nachgewiesen ist, dass im Fall einer Beeinträchtigung des lokalen Feldhamstervorkommens sich diese nicht negativ auf die Stabilität der Art im überörtlichen Rahmen auswirkt. Dazu enthält der angegriffene Bescheid keine Ausführungen, weil der Antragsgegner davon ausgegangen ist, dass sich der Erhaltungszustand der lokalen Feldhamsterpopulation bei Durchführung der geplanten Umsiedlung und Einhaltung der dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmungen nicht verschlechtern werde. In der Beschwerdeerwiderung hat der Antragsgegner zwar (zutreffend) ausgeführt, dass es bei der Frage der Verschlechterung des Erhaltungszustandes einer Population im Sinne des § 45 Abs. 7Satz 2 BNatSchG nicht auf die lokale Population ankomme, sondern eine gebietsbezogene Gesamtbetrachtung anzustellen sei, die auch die anderen (Teil-)Populationen der betreffenden Art in den Blick nehme. Letztlich hat er aber nochmals seine Auffassung bekräftigt, dass es hier nicht einmal zu einer Verschlechterung der lokalen Feldhamsterpopulation komme.

 

VG Hannover 4. Kammer

Urteil vom 21.06.2019, 4 A 12841/17

Zitate:

Demgegenüber verstoßen die im Konzept zur beabsichtigten Hamsterumsiedlung genannten Maßnahmen (Einfangen und Umsetzen der Hamster auf eine Fläche östlich der B 3, mit der Absicht, eine bauliche Nutzbarkeit der Flächen im Gebiet des B-Plans Nr. J. zu ermöglichen) sowohl gegen die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 Nr. 1 als auch des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, da der Feldhamster entgegen Nr. 1 gefangen wird und entgegen Nr. 3 auch seine Fortpflanzungs- und Ruhestätten (infolge der beabsichtigten Bebauung) beschädigt oder zerstört werden, ohne dass jedenfalls die Voraussetzungen für eine Freistellung von dem artenschutzrechtlichen Zugriffsverbot des $ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG erfüllt sind.

Die untere Naturschutzbehörde hat mit Stellungnahme vom 01.11.2016 im Verwaltungsverfahren ausgeführt, dass es am erforderlichen räumlichen Zusammenhang angesichts der Entfernung von rund 8 km zwischen Eingriffs- und Maßnahmenfläche (und der dazwischenliegenden B 3) fehle. Die Notwendigkeit von Fang und Umsiedlung zeige, dass eine Freistellung nach § 44 Abs. 5 BNatSchG gerade nicht möglich sei.

50 Die Kammer sieht keinen Anlass, diese fachlich nachvollziehbare Einschätzung der unteren Naturschutzbehörde in Zweifel zu ziehen. Das Gesetz geht dem Wortlaut nach davon aus, dass eine Freistellung von den Verboten des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, nämlich wenn die Ausgleichsfläche im räumlichen Zusammenhang mit den Fortpflanzungs- und Ruhestätten steht, die durch das Vorhaben zerstört werden. Das kann im Einzelfall dann gegeben sein, wenn in der Umgebung im ausreichenden Umfang und in entsprechender Güte geeignete Ersatzhabitate gelegen sind, bei denen dann davon ausgegangen werden kann, dass sie von der lokalen Population angenommen werden (Heugel in: Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2. Auflage, § 44, Rn. 49). Der Begriff des räumlichen Zusammenhangs hebt dabei auf die artspezifischen Vernetzungsdistanzen ab; etwaige Ersatzlebensräume müssen sich innerhalb des Aktionsradius der betroffenen Individuen befinden (Lau, in: Frenz/Müggendorf, BNatSchG, Aufl. 16, § 44, Rn. 48, zitiert nach juris).

51Angesichts der Tatsache, dass die Ersatzhabitate in ca. 8 km Entfernung östlich der B 3 entstehen sollen, fehlt es an diesem räumlichen Zusammenhang, so dass eine Freistellung nicht möglich ist. Dabei berücksichtigt die Kammer zum einen, dass der durchschnittliche Aktivitätsradius bei männlichen Feldhamster bei max. 500 Metern und für weibliche Feldhamster bei etwa 200 Metern liegt und demzufolge bei einem Abstand von 8000 Metern eine Vernetzung mit dem bisherigen Lebensraum ausscheiden muss. Zum anderen führt auch die – nach den unwidersprochen gebliebenen Ausführungen der Beklagten – hohe Verkehrsdichte auf der B 3 dazu, dass die Straße eine unüberwindbare Grenze innerhalb des Lebensraums bildet und ein genetischer Austausch der vormals zusammengehörigen Population nicht mehr möglich ist.

Zitatende.

Und die Rechtlage, die war an und für sich sehr eindeutig. Ist doch der EUGH und dessen Urteile bindend für alle Mitgliedsstaaten und bildet die oberste gerichtliche Instanz. Die FFH- Richtlinie 92/43/EWG ist bindend für alle Mitgliedstaaten. Ein Leitfaden wurde erstellt. Dieser Leitfaden soll sicherstellen, dass die einschlägigen Bestimmungen von den nationalen und regionalen Behörden, den Naturschutzverbänden und sonstigen für die Umsetzung der FFH-Richtlinie zuständigen oder an ihr beteiligten Einrichtungen einheitlich interpretiert werden. Zitat:“ zum Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätte Seite 52: „Der ausdrückliche Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten, der zum Schutz der Arten als solchen hinzukommt, und das Fehlen des Wörtchens „absichtlich“ zeigt die Bedeutung, die diesen Stätten im Rahmen der Richtlinie eingeräumt wird. Dieser besondere Schutz der Fortpflanzungs- und Ruhestätten vor Beschädigungen oder Zerstörungen hängt selbstverständlich mit der wesentlichen Funktion dieser Stätten zusammen, die weiterhin alles bieten müssen, was für die Fortpflanzung oder die Rast eines bestimmten Tieres (oder einer bestimmten Gruppe von Tieren) erforderlich ist.

Beispiele von Beschädigungen gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d):

– funktionelle Beeinträchtigung von Teilen eines Hamsterbaus, die als Fortpflanzungs- und Ruhestätte dienen, durch zu tiefes Pflügen;

“Zitat Seite 53:“
Funktionalität von Fortpflanzungs- und Ruhestätten

(72) Bei Projekten oder Aktivitäten, die sich auf Fortpflanzungs-/Ruhestätten auswirken können, sind die Unterschiede zwischen den Maßnahmen gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe d) und den Maßnahmen gemäß Artikel 16 zu untersuchen, wobei insbesondere festzustellen ist, inwieweit sich Maßnahmen zur Erhaltung der kontinuierlichen ökologischen Funktionalität einer bestimmten Fortpflanzungs-/Ruhestätte durchführen lassen und somit die Bedingungen von Artikel 12 erfüllt sind (also nicht auf Ausnahmen gemäß Artikel 16 zurückgegriffen werden muss). Entscheidend ist dabei folgende Frage: „Wird jetzt oder in Zukunft durch ein bestimmtes Projekt/eine bestimmte Tätigkeit eine (wenn auch nur vorübergehende) Beschädigung oder Zerstörung einer Fortpflanzungs-/Ruhestätte verursacht?“ Lautet die Antwort „Ja“, dann gelangt Artikel 16 zur Anwendung.“

Diese Aussage ist eindeutig, wenn man Feldhamsterbaue überbaut. Aussage aus dem Gutachten Seite 24: Durch die Bebauung des B-Plangebietes werden Fortpflanzungs- und Ruhestätten des Feldhamsters vernichtet: 2 Überwinterungs- und 3 bis 6 Sommerbaue. Wie konnte also eine untere Naturschutzbehörde einen Eingriff genehmigen ohne eine Ausnahme zu beantragen, die Sie nicht begründen konnte?