Der Feldhamster sagt leise „Tschüss“

Jürgen Heimann beschreibt in seinem Artikel „Die Letzten ihrer Art: Der Feldhamster räumt das Feld und sagt leise „Tschüss“ die deutschlandweit schlechte Situation und Perspektive des Feldhamsters. Dabei geht er auch auf das ignorante Verhalten der Stadt Hanau in der Feldhamsterfrage im Neubaugebiet-Mittelbuchen-Nordwest ein.

Feldhamster im Gras

Foto: Manfred Sattler/www.Feldhamster.de

Temporär sind die kleinen pausbackigen Kerlchen mit den lustigen Knopfaugen (erst mal) völlig von der Bildfläche verschwunden. Sie ratzen und halten in ihrem rund ein Meter unter der Grasnarbe angelegten Bau Winterruhe. Do not disturb! Real und im wahren Leben werden die Tiere die Platte in absehbarer Zeit ebenfalls geräumt haben. Und zwar völlig. Die Ära der akut vom Aussterben bedrohten Feldhamster neigt sich ihrem Ende zu. Wenn sie Ende April/Anfang Mai nach sechsmonatigem Erholungs- und Schönheitsschlaf wieder aus ihren unterirdischen Höhlen an die Oberfläche krabbeln, wäre es theoretisch möglich, jeden der Ihren mit Vornamen zu begrüßen. Denn es gibt nicht mehr viele von ihnen.

Aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben sich die putzigen Nager inzwischen komplett verabschiedet, in Nordrhein-Westfalen kann man sie fast an den Fingern einer Hand abzählen. In Baden-Württemberg siechen Schätzungen zufolge gerade mal noch hundert Exemplare vor sich hin. In anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. Hier mal mehr, dort mal weniger angespannt, aber durchgehend dramatisch. Der Trend ist überall negativ. Und das gilt auch für andere europäische Länder. 1.100 Tiere sollen es noch in Hessen sein, gerade mal 140 in Niedersachsen. Bundesweit wird der Bestand auf etwa 100.000 Exemplare geschätzt. Diese Zahlen hat das Bundesamt für Naturschutz (BfN) 2012 veröffentlicht. Aktuelle Erhebungen für 2017 liegen nicht vor. Aber die Lage dürfte seitdem nicht besser geworden sein.

Die Pausbacken vermissen das Bett im Kornfeld

Da nutzt den Tieren auch ihre naturseitig gegebene hohe Schlagzahl bei der Fortpflanzung nix. Früher warfen die Weibchen dreimal im Jahr 6-10 Junge, eine Zahl, die heuer ob der schlechten Lebensbedingungen längst nicht mehr erreicht wird. Die Reproduktionsrate kann den Schwund nicht mehr ausgleichen. Da Feldhamster notorische Einzelgänger sind, die ihr Territorium vehement gegen Artgenossen verteidigen, und jeder Bau nur von einem dieser Tiere bewohnt wird, lässt sich die Populationsgröße in ihrer Gesamtheit relativ gut abschätzen. Als bevorzugter Lebensraum des Pausbäckigen gelten Korn-, Klee- und Luzernefeldern. Vor allem Getreideareale sind wie ein Schlaraffenland für ihn. Werden diese jedoch abgeerntet, und das geschieht mit den modernen Hochleistungs-Mähdreschern ja immer effektiver, ist dies für den Feldhamster eine Katastrophe! Er lässt die leeren Backen hängen, weil für ihn bleibt nichts mehr übrig bleibt. Die Nahrung ist weg, die Deckung auch.[…]

Wo der Hamster (noch) lebt, darf nicht gebaut werden

[…]Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten dazu, jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten dieser Tiere zu verhindern. Wo die Wühler zu Hause sind, darf laut Gesetz nicht gebaut werden. Kein Exemplar des Feldhamsters darf bedroht, gefährdet oder getötet, seine Lebensräume dürfen nicht zerstört werden.

[…]Eine Vorgabe, die aber gerne schon mal ignoriert oder unter fadenscheinigen Gründen unterlaufen wird. Aktuell erleben wird das ausgerechnet im Main-Kinzig-Kreis, einer Region, die landesweit beim Feldhamsterschutz führend ist. Hier, zwischen Hanau-Mittelbuchen, Frankfurt-Bergen und Maintal befindet sich das bedeutendste Vorkommen dieser sowieso schon recht spärlich vertretenen Spezies in Hessen. Dieses Refugium droht durch das neue Baugebiet “Mittelbuchen Nordwest” drastisch beschnitten zu werden. Was, nebenbei bemerkt, auch Auswirkungen auf den hier lebenden Roten Milan haben wird. Aber es ist ja hier wie andernorts nicht der Feldhamster, der sich als “Baustopper” aufspielt. Es sind unprofessionelle Planer und Bauträger, die ihre gesetzlichen Hausaufgaben und Prüfaufträge nicht erfüllen. Genau so hat es Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, seinerzeit einmal treffend formuliert.

Die Stadt Hanau zeigt, wie man es nicht machen sollte

Die Stadt Hanau hält aber stur an ihren Plänen fest, obwohl ein ihr vorliegendes Artenschutzgutachten davor warnt und die Kommune bis heute kein geeignetes Ausweichgebiet hat ins Spiel bringen können. Angeblich, weil es keine entsprechenden Flächen gibt. Aber die Verantwortlichen haben erst gar nicht danach gesucht, oder nur halbherzig. Dagegen regt sich Widerstand. Durch eine entsprechende Online-Petition hoffen Naturschützer und Aktivisten der Interessengemeinschaft “IG Bauvorhaben Mittelbuchen Nordwest” , die fatalen Pläne durchkreuzen bzw. Öffentlichkeit herstellen bzw. Widerstand mobilisieren zu können. […]

Bemühungen solcherart werden auch gerne mal ins Lächerliche gezogen. Zumal dann, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht. Was dem Menschen als Krone der Schöpfung nutzt, hat Vorrang. Was zählen dagegen schon so ein paar pelzige Untergrundler? Deren Schicksal geht den meisten sowieso am A… vorbei. Unabhängig von der Rolle, die Feldhamstern im ökologischen System zukommt und die vielen ja gar nicht richtig bewusst ist. Jede Tier- und Pflanzenart, die ausgerottet wird, bedeutet einen unwiederbringlichen Verlust. Nicht nur an Vielfalt. Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beginnt oft im Kleinen. Diese Lebensgrundlagen erodieren mit jeder Art, die vom Erdboden getilgt wird. Das kann dauerhaft einfach nicht gut gehen.

Quelle: Jürgen Heimann – rotorman.de

Den kompletten Artikel finden Sie auf Jürgen Heimanns Blog www.rotorman.de